KUNSTGESPRAECH

TEXTE: REZENSIONEN

Sozialplastik

from the sea through the city to the country, 24.05. – 27.05.2012, Kreuzberg Pavillon, Berlin

mit Mourre Frais, Undine Goldberg, Jennifer Jordan, Giovanni Lami, Stefan Müller, Jens Nippert, Viviane Robin, Giovanna Sarti, Giorgia Severi, Jelena Trivic, Alessandro Vitali, Klaus Winichner, kuratiert von Giovanna Sarti

from the sea through the city to the country, Blick in die Ausstellung, Foto: KK

11 Künstlerinnen und Künstler zeigen ihre Arbeiten in der von Giovanna Sarti zusammen gestellten Ausstellung. 3 Künstlerpaare und weitere Weggefährten von Sarti, die an der Städelschule (Hochschule für Bildende Künste Frankfurt am Main) studierte und später nach Berlin ging. Im Moment pendelt sie zwischen ihrem Heimatland Italien und Berlin. Sarti hat bereits in Frankfurt am Main eine Ausstellungsreihe in ihrem Atelier kuratiert und mit dem Katalogfolder "blattspezial" ein neues Format für künstlerische Zusammenarbeit ausprobiert (http://www.blattspezial.org/). Die meisten der ausstellenden Künstler sind aus Berlin, einige von Ihnen haben die Berliner 
Aufbruchszeit mitgestaltet, sind von namhaften Galerien vertreten oder engagieren sich für die Berliner Kunst- und Kulturszene.

from the sea through the city to the country, Blick in die Ausstellung, Foto: KK

Man könnte meinen, Sarti habe nur weiße oder schwarze, mindestens aber farbarme Arbeiten kuratiert. Das homogene Farbbild ist aber "Zufall" (oder individueller künstlerischer Wille), denn Sarti hat die jeweiligen Arbeiten nicht ausgesucht, sondern nur die Künstlerinnen und Künstler eingeladen. Auf der Homepage des Ausstellungsraumes Kreuzberg Pavillon (http://kreuzbergpavillon.tumblr.com/) findet sich umfangreiches Bildmaterial zu den einzelnen Arbeiten. 

Wir sehen Relief, Skulptur, Malerei, Zeichnung, Video, Soundskulptur auf hohem Niveau des zeitgenössischen Kunstdiskurses: Die Wandarbeit von Alessandro Vitali vermittelt sich am direktesten: Das Lochmuster mit dem die Bohrmaschine die Wand überzogen hat, fügt sich zu einer Zeichnung. Der beim Bohren herausrieselnde Sand liegt noch da und klärt so zweifelsfrei den Arbeitsprozess. Kunst zeigt sich hier mit Betonung auf den Prozess des Herstellens unter Hintanstellen eines individuellen Schöpfens. Dabei haben die Bohrlöcher durchaus eine ästhetische Komponente. Die abstrakte Lochzeichnung wirkt außerdem organisch, wie von Tieren zufällig hergestellt. 

Dies folgt einer aktuellen künstlerischen Haltung, die den kreativen Prozess als organischen Gestaltungsprozesses begreift, wie er in der Natur vorkommt bei der Herstellung eines Bienenstockes oder Spinnennetzes. Dies ist ein Thema der documenta (13). Die Leiterin Carolyn Christov-Bakargiev weist in einem Interview mit der
Süddeutschen Zeitung vom 31.05.2012 sogar explizit auf die Ähnlichkeit des künstlerischen und tierischen Gestaltungsprozesses hin. Aber bereits der amerikanische Architekt Vladimir Ossipoff hat mit visuell ähnlich dekonstruktiven "Wandschmuck" in seinen hawaianischen Bauten gearbeitet. 

Bei Vitalis Wandarbeit sind Materialien und Arbeitsprozess so schlicht und alltäglich wie möglich. Hier - wie auch bei den anderen ausgestellten Künstlern - geht es
nicht allein um das Werk selbst, sondern auch um die künstlerische Haltung, die den Herstellungsprozess bestimmt.

Bei Jennifer Jordans Wandskulpturen entsteht die Form von selbst: Textilien hängen an Holz- und Aluminiumstangen wie an einer menschlichen Wirbelsäule und formen einen Körper. Das Material selbst verdeutlicht seine Eigenschaften, indem es den Gesetzen der Schwerkraft ausgesetzt ist. Auch Giovanna Sarti nutzt in ihren Gemälden die Eigenschaften von Bindemitteln und farbigen metallischen Pigmenten. Beim Malen setzt sie einen Prozess in Gang, den sie nicht steuern kann und bei dem sie zeitweise sogar nicht einmal sieht, was sie tut. Dieser Prozess kann beim fertigen Gemälde an der bewegten, organischen Struktur erschlossen werden. 

Giovanna Sarti hat außerdem ein Relief aus vier leicht gebogenen Keramikplatten erstellt. Die Keramik ist einmal gebrannt und mit abstrakten Mustern glasiert. Wie ein
Bild an der Wand hängend steht es zwischen angewandter und traditioneller Kunst und hinterfragt so die klassische Malerei. Stefan Müllers abstrakte Malerei, die daneben hängt, ist von der Materialität der strukturierten Leinwand und der ästhetischen reduzierten Farbgebung gekennzeichnet. 

Jelena Trivic arbeitet in ihrer Malerei mit malerischen Elementen, die sie unverbunden nebeneinander setzt wie Kapitel einer Geschichte. Zwischen diesen ensteht ein
Zwischenraum, in dem sich die eigentliche künstlerische Arbeit ansiedelt. Sie erzählt vom Arbeitsprozess selbst, von der künstlerischen Macht Welten mit geringen Mitteln zu konstruieren und zu demontieren. Der Betrachter kann sich so assosiativ einer Art Erzählung nähern. Die Silhouette einer Anannas entsteht allein mit den Mitteln der grundierten und ungrundierten Leinwand. Diese kleine Leinwand hängt neben einer größeren, die, so lässig und provisorisch auf den Keilrahmen gespannt, ihren Stoff oben und unten überhängen lässt. Geometrische Bänder von Transparentpapier-Schablonen sind über diese Leinwand gespannt. Ein farbiges Band ähnlichen Musters und eine farbige Zeichnung eines Skeletts hängen an diese Leinwand. Band und Schablone nehmen über ihre visuellen Bezüge Kontakt auf. 

Mit Assoziation, Bewegung und Schnitten arbeitet auch Undine Goldberg in ihrem Video "Blackbird". Menschen tragen Vogelschnäbel und sitzen auf Bäumen, Überblendungen  auf ein Aquarell - die einzelnen Szenen erzählen keine logische Geschichte, vermitteln vielmehr den Eindruck, dem Betrachter wäre mit dem Video ein besonderer Einblick  in eine zauberhafte Parallelwelt gewährt, die sich auch ansonsten intensiv weiter bewegt und tanzt, wenn die Kamera nicht mehr dabei ist. Undine Goldberg erstellt - außer ihrer Videokunst - interessante realistische Porträts in (ironischer) Aquarelltechnik, wie sie zur Zeit Jane Austens denkbar wäre (http://www.undinegoldberg.com/). Die großfomatige freie  figürliche Zeichnung von Klaus Winichner integriert Spuren des Prozesses, ausformulierte und angedeutete Elemente. In diesem Stil erstellt er Zeichnungen und Malerei, die ihre bewegte und ästhetische Wirkung in einer Abfolge noch steigern können (s. Homepage: http://www.klaus-winichner.de/).

Jens Nipperts Skulpturen zeigen einen Bildhauer, der souverän Material und Thema mixt. Er integriert Zeitungsseiten in seine ästhetisch komponierten Skulpturen. In
dieser Ausstellung zeigt er eine elegante abstrakte Metallstangen-Konstruktion, an der eine arabische Zeitung befestigt ist. Seine ungestaltete Tonskulptur
dagegen wirkt wie ein humoristisches volkstümliches Zitat.

Bei Mourre Frais und Viviane Robin verschmilzt Lebenshaltung mit Kunst, denn diese ensteht auf einem Grundstück in Frankreich. Dort leben sie in einem Wohnwagen und arbeiten in einem lichtdurchfluteten Freiluftzelt (Foto: http://www.mourrefrais.com/). Ihre Arbeiten beschäftigen sich mit dem Ort und der Gegend. In Giorgia Severis und Giovanni Lamis Arbeit wachsen Strohblumen aus der Ausstellungswand und korrespondieren mit dem abstrakten Sound von Insekten, die sich in der Natur in der Nähe dieser Blumen aufhalten.

Der Kreuzberg Pavillon wird von Alessandro Vitali und Heiko Pfreundt gemeinschaftlich mit anderen betrieben. Während der documenta eröffnet der Pavillon eine Dependance in Kassel.

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