Symposium 60 Jahre Documenta
Site-specific Research Symposium 60 Jahre Documenta, 17.- 18.07.2015, Kassel
http://www.kunstgespraech.de/kirsten_koetter_site-specific_documenta.pdf (PDF, deutsch, English, 16 Seiten / pages, 7 MB)
17.07.2015, 10:10 - 10:40, Begrüßung, Einführung / Welcome, Introduction,· Aquarell / watercolour, 17 x 24 cm
Die Situation. Der Raum – bekannt von den documenta-Ausstellungen – ist monumental und karg. Das Licht gedämpft. Durch die Beleuchtung werden Schatten an die Wände projiziert. Die Vorträge. Einführende Worte, später: Beschreibungen, Annäherungen. Wie Einführungen so sind (aber das bleibt auch so.)
The situation. The space is monumental and austere. You know this room from the documenta exhibitions. Dimmed lights. Tender shadows on the walls. The lectures. Introductory remarks, later descriptions, approximations. Typical introductions (but it does not change later.)
17.07.2015, 10:45 - 13:15, documenta X, From the International to the Global, Aquarell / watercolour, 24 x 32 cm
Catherine Davids Haltung könnte man arrogant nennen (?). Sie distanzierte sich vom Publikumsliebling Documenta IX und nannte diese unübersichtlich. (Die documenta X war als trocken und langweilig kritisiert worden). Ihr eigenes Konzept schilderte sie wie ein Entdecker die Eroberung eines fremden Landes; es enwickelte sich Schritt für Schritt beim Machen. Flucht nach vorn? Einen großen Teil ihrer Redezeit überließ sie zwei chinesischen Künstlern, die von der documenta beeinflusst worden waren, und bewies so die internationale Bedeutung. Der Künstler Wang Jianwei sprach über ein Projekt der Regierung, die Getreideernte mit neuen Samen zu erhöhen, die parallel getestet werden sollten. Bauern und Wissenschaftler mussten dabei Rollen tauschen, was zu Verwirrungen führte. Lu Jie sprach über sein Projekt des „Langen Marsches“, der von Künstlern – verbunden mit Ausstellungen und Aktionen vor Ort bei Bauern auf dem Lande – wiederholt wurde. Interessante Vorträge und künstlerische Arbeiten – zu affirmativ? Zu unkritisch dem diktatorischen chinesischen Staat gegenüber? Oder geschickte Hebel für neues Denken? Es gäbe in China kein Museum für Moderne Kunst, wirft Catherine David bei der anschließenden Diskussion mit dem Publikum in die Debatte. Worauf Carolyn Christov-Bakargiev vehement protestiert und das von Mao eingerichtete Museum für Moderne Kunst lobt, das aber von Catherine David nicht als in ihrem Sinn „modern“ akzeptiert werden kann. Wer legt fest, was „modern“ ist und wie zeitgenössische Kunst aussehen soll? Global?
Is Catherine David‘s attitude arrogant? She distanced herself from the Documenta IX and named it confusing (Documenta IX was the darling of the public. Documenta X was criticized as a dry and boring one). She described her own concept like an explorer decribes the conquest of a foreign country; under construction, step by step in making. Bull by the horns? Two Chinese artists, who had been influenced by the documenta, talked a long time. This showed the international importance. Wang Jianwei talked about a government project. The aim was to increase the grain harvest with new seeds. The harvest should be tested at the same time. Farmers and scientists exchanged their roles. This led to confusions. Lu Jie spoke about his project „Long March“. „Long March“ was re-enacted by artists. The project was connected with on-site exhibitions and activities in the countryside. Interesting lectures and artistic works – too affirmative? Too uncritical towards the dictatorial Chinese government? Or a clever lever for new thinking? There is no Museum of Modern Art in China, argued Catherine David in the subsequent discussion with the audience. Carolyn Christov-Bakargiev vehemently protested and praised Mao‘s Museum of Modern Art. This can not be accepted by Catherine David as „modern“ in its meaning. Who determines „modern“? What is contemporary? In a global world?
18.07.2015, 10:00 – 13:00, documenta 12 , Migration of Form, Aquarell / watercolour, 17 x 24 cm
Die Einführung (von Micheal Lüthi?) findet nicht die Zustimmung von Ruth Noack („Ich finde mich nicht darin wieder“). Sie kann nicht auf ihr Notebook zugreifen und leidet darunter („Das Notebook mag mich heute nicht.“) Sie schildert ihre Probleme mit einseitiger Presseberichterstattung, die sie auf eine Nebenrolle reduzierte. Ein Foto mit ihr im Dirndl vor Buergels Rücken wurde aber wiederum nie abgedruckt. Auch heute trägt sie ein außergewöhnliches gemustertes hängendes Kleid. Ihr insgesamt fokloristischer Auftritt bestimmt das Aquarell in bewegteren Formen und erdigen Farben. Sie spricht über die „Migration der Form“. Der kunsthistorische Ansatz, der historische Verbindungen über kulturelle Grenzen hinweg aufzeigt, wird politisch, weil er Verbindung und Kulturaustausch durch Handel betont, nicht nationale Identität. Der Vortrag geht in ein Gespräch mit David Joselit über, der außer zu wenigen Fragen und Stichworten nicht zu Wort kommt. Er warnt mehrfach erfolglos, dass ihnen kaum noch Zeit bliebe. Ruth Noacks unstrukturierte Gedanken haben einen fragenden erprobenden Charakter. Der Zuhörer weiß nicht genau, worauf sie abzielen. Manche Überlegungen nutzen angreifbare Terminologie: Wie es war, als nur Asylbewerberinnen die Schrift auf einem Exponat lesen und dieses zuordnen konnten. Noack spricht viel über das regionale Publikum. Auch Buergel hält einen Vortrag. Später diskutieren beide mit Okwui Enwezor und einem Künstler. Okwui erinnert sich an eine außergewöhnliche Präsentation auf der documenta 12, die zeigte, was durch dies Konzept geleistet werden konnte.
Ruth Noack does not consent to Michael Lüthi („I can‘t find myself in the introduction“). She has no access to her laptop („The laptop does not like me today.“) She describes her problems with unilateral press coverage. She was reduced to a supporting role. She tried to ironize her role. But the press ignored a photo with her in a dirndl in front of Buergels back. Even today she is wearing an exceptional patterned hanging dress. Her ethnic look determines the watercolour with more agitated shapes and earthy colors. She talks about the „migration of form“. This art-historical approach shows the historical connections across cultural boundaries. It is political because it emphasizes connections and cultural exchange by trade, not by national identity. The panel proceedes with a conversation between Ruth Noack and David Joselit. David Joselit can‘t get a word in edgewise, except for a few questions and keywords. His pointers to time calculation failed. The theses by Ruth Noack are interrogative. The listeners do not know exactly what she is targeting. Ruth Noack talked a lot about the local audience. Some of her terms and statements are unfinished and vulnerable. She talked about a guided tour with refugees. Only this women were able to read the writing on an exhibit. Also Buergel lectured. Later both discuss with Okwui Enwezor and an artist. Okwui remembers an extraordinary presentation, which showed the quality of this concept.
18.07.2015, 14:00 - 16:30, dOCUMENTA (13), Speculative Fabulations, Aquarell / watercolour, 17 x 24 cm
Michael Lüthi nennt seine Einführung ein Teamwork mit Carolyn Christov-Bakargiev: Die habe beim Mittagessen seinen Text redigiert. Carolyn selbst entschuldigt Karen Barad und trägt die guten Wünsche vor, die sie dieser per SMS geschickt hat. Warum sie diese zwei Künstler ausgewählt habe? Zuerst: Diese seien großartig! Aber sie wolle den Organisatoren Fahrtkosten ersparen und habe Deutsche gewählt. Und wenn Dias projiziert worden waren, hätte man fälschlich von der Schale oder Skulptur gesprochen und nicht präzise vom Dia, das die Schale zeigt. Auch sie zeigt Dias von einem traditionellen Papierarchiv und einem Kompost. Die kuratorische Arbeit gleicht für sie dem Kompostieren, bei dem sich die Inhalte annähern, auflösen und verbinden, und nicht dem Archivieren, bei dem sie getrennt und geordnet bleiben. Mehrfach wird sie gemahnt, zum Ende zu kommen. Erst die Mahnung nicht unhöflich zum Nachfolger zu sein, zeigt Ergebnis. Carolyn spricht schleppend mit Tino Sehgal über Kommunikation zwischen Kurator, Presse, Publikum. Tino wirft ein, dass nicht nur Carolyns Locken als Erkenntnis bleiben dürfen, und diese lacht überrascht auf. Kristina Buch spricht über ihren Garten für Schmetterlinge und ihre Kunst. Es folgt die Feministin Griselda Pollock mit einen für Nicht-Feministen schwer verständlichen Vortrag, der sofort verhalten geäußerte Kritik im Publikum produziert. Ein Highlight beschert die Frage eines Zuschauers, ob Carolyn und Griselda nicht auch Kinderkriegen als wichtige Aufgabe der Frau sehen? Was Carolyn präzise mit Kinderzahl und Informationen über die Stillzeit kontert.
Michael Lüthi calls his introduction a teamwork with Carolyn Christov-Bakargiev: They have edited his text at lunch. Carolyn even excuses Karen Barad and submits the good wishes she sent to Karen via SMS. Why did she choose these two artists? Firstly: these are great! But she wanted to save the organizers travel costs and has chosen Germans. And if slides were projected, one would falsely mention the shell or the sculpture and not precisely the slide showing the shell. She also shows slides of a traditional paper archive and a copost. The curatorial work is similar to composting, in which the contents approaches, resolves and connects, and not to an archive in which they remain ordered separately. She is reminded frequently to come to an end. Only the admonition not to be rude to the following speakers shows results. Carolyn speaks slowly with Tino Sehgal about communication between curators, press, audience. As Tino interjects that not only Carolyn curls should remain as perception she laughs up in surprise. Kristina Buch talks about her garden for butterflies and her art. The feminist Griselda Pollock follows with a lecture. It is hardly to understand for non-feminists and produces criticism in public immediately. A question from the audience is a highlight: do Carolyn and Griselda consider having children as an important task for a woman? Carolyn counters the question precisely with the number of children and the information on breastfeeding.
Kirsten Kötter, Sympoisum 60 Jahre Documenta, 17. / 18.7.2015
Symposium documenta 1997 – 2017: erweiterte Denkkollektive / expanding thought-collectives, documenta Halle
Programm
Freitag, 17.07.2015
10:10 – 10:15
Begrüßung · Hortensia Völckers, Kulturstiftung des Bundes
Einführung · Dorothea von Hantelmann
10:20 – 10:40
Hegemonic Shifts: Situating documenta X and 11 · Oliver Marchart
10:45 – 13:15
documenta X · From the international to the global · Catherine David, Lu Jie, Laura Zheng Ning, Wang Jianwei
Mit
der documenta X richtete sich der Selbstanspruch der documenta neu aus.
Es ging um den Versuch neue Formate der Präsentation vorzuschlagen und
zu gestalten, die der Vielfalt, Komplexität und Heterogenität der
zeitgenössischen ästhetischen Praktiken und ihren
Entstehungszusammenhängen gerecht werden konnten. Mit Blick auf die
gegenwärtige künstlerische und kuratorische Praxis in China befragt das
Panel die Rezeption und Verbreitung der von der dX eingeführten
Methodologien in nicht-westlichen Kontexten.
14:30 – 17:00
Documenta11
· Art in an emerging global society? · Okwui Enwezor, Sarat Maharaj,
Nikos Papastergiadis, Raqs Media Collective / Shuddhabrata Sengupta
Die
Documenta11 erweiterte die gesellschaftstheoretische und -historische
Ausrichtung der documenta X in geopolitischer Hinsicht: Ins Zentrum
rückte die Frage nach der politischen, kulturellen und ethischen
Bedeutung der Kunst im Kontext einer sich neu konstituierenden
Weltordnung. Wie bewerten wir den Denkstil dieser Ausstellung, die
Kultur als Ort der Übersetzung, des Bruchs und der Dissonanz verstand,
aus heutiger Perspektive?
17:30 – 18:30
Exhibitions: Where Thought Collectives Collide · Peter Galison
22:00 – 23:00
Konzert · M.A. Numminen und das defunensemble · Verliebte Philosophen
Samstag, 18.07.2015
10:00 – 13:00
documenta 12 · Migration of Form · Roger M. Buergel, Okwui Enwezor, David Joselit, Ruth Noack
Innerhalb
des postkolonialen Diskurses mit seinem Fokus auf heterogene,
nicht-westliche Modernen rückte die documenta 12 die Frage der Form und
der Präsentation ins Zentrum. Sie entwickelte das Konzept der Migration
der Form, das auf der Vorstellung gründet, dass Formen an und für sich
Bedeutungen haben, die über die Grenzen von Kulturen und Epochen hinweg
existieren. Diskutiert wird die Ausstellung als Raum der beständigen
Transformation schwebender Formen und die damit einhergehende
Pluralisierung der Möglichkeiten von Kunst, sich in Raum und Zeit zu
bewegen.
14:00 – 16:30
dOCUMENTA (13) · Speculative Fabulations · Karen Barad, Kristina Buch, Carolyn Christov-Bakargiev, Griselda Pollock, Tino Sehgal
Mit
der dOCUMENTA (13) ging der Wandel von einem kritischen zu einem
spekulativ ausgerichteten Denken einher. Die Ausstellung propagierte die
Destabilisierung der seit der Neuzeit getroffenen kategorialen
Unterscheidung von Menschen, Tieren und Dingen, mit der sich das
Zugeständnis oder die Absprache von Handlungsvermögen verbindet,
zugunsten eines erweiterten Verständnisses von Agency. Das Panel
diskutiert, wie kompatibel dieser feministisch-ökologische Denkstil mit
dem Format Ausstellung ist.
17:00 – 18:30
documenta 14 · Few Notes from an Extellectual · Carmen Amor, Hiwa K, Adam Szymczyk
18:30
Schlussworte · Beatrice von Bismarck, Dorothea von Hantelmann, Michael Lüthy
Einführungen und Moderationen
Dorothea von Hantelmann, Michael Lüthy
Das Symposium findet in englischer Sprache mit deutscher Simultanübersetzung statt.
Symposium „documenta 1997 – 2017: erweiterte Denkkollektive / expanding thought-collectives“, documenta Halle
Program
Friday, 17.07.2015
10:10 – 10:15
Welcome · Hortensia Völckers, Kulturstiftung des Bundes
Introduction · Dorothea von Hantelmann
10:20 – 10:40
Hegemonic Shifts: Situating documenta X and 11 · Oliver Marchart
10:45 – 13:15
documenta X · From the international to the global · Catherine David, Lu Jie, Laura Zheng Ning, Wang Jianwei
With
documenta X, documenta set off on a new course – trying to design and
propose new formats for a cultural event supposed to present in a
meaningful way the diversity, complexity and heterogeneity of
contemporary esthetical practices, and their eventual genealogy in the
recent past. Looking at artistic and curatorial practice in contemporary
China, the panel will question the reception and circulation of the set
of methodologies put forward by dX in non-western contexts.
14:30 – 17:00
Documenta11
· Art in an emerging global society · Okwui Enwezor, Sarat Maharaj,
Nikos Papastergiadis, Raqs Media Collective/Shuddhabrata Sengupta
Documenta11
continued the socio-theoretical and historical approach taken by
documenta X, but set out to expand its geopolitical horizon, questioning
the political, cultural and ethical meaning of art in a newly emerging
world order. How can one today describe this exhibition’s thought-style
(Denkstil), which read culture as a locus of translation, fracture, and
dissonance?
17:30 – 18:30
Exhibitions: Where Thought Collectives Collide · Peter Galison
22:00 – 23:00
Concert · M.A. Numminen and defunensemble · Verliebte Philosophen
Saturday, 18.07.2015
10:00 – 13:00
documenta 12 · Migration of Form · Roger M. Buergel, Okwui Enwezor, David Joselit, Ruth Noack
documenta
12 located itself within postcolonial discourse with respect to its
focus on heterogeneous, non-western modernities, bringing to the centre
questions of form and presentation; and the idea that forms have
meaning, beyond the borders of culture and epoch. The panel will discuss
the exhibition as a space where forms exist in a state of constant
transformation and the concomitant pluralisation of the possibilities of
art to move in space and time.
14:00 – 16:30
dOCUMENTA (13) · Speculative Fabulations · Karen Barad, Kristina Buch, Carolyn Christov-Bakargiev, Griselda Pollock, Tino Sehgal
dOCUMENTA
(13) ushered in a general shift from critical to speculative thought,
informed by feminist as well as ecological concerns. The exhibition
sought to destabilize the categories that have differentiated people,
animals, and things since the modern era, interlinked with an
acknowledgment or grasp of the ability to act that in turn called for a
broader understanding of agency. The panel will discuss how compatible
these feminist-ecological thought-styles are with the exhibition format.
17:00 – 18:30
documenta 14 · Few Notes from an Extellectual · Carmen Amor, Hiwa K, Adam Szymczyk
18:30
Closing remarks · Beatrice von Bismarck, Dorothea von Hantelmann, Michael Lüthy
Introductions and moderation
Dorothea von Hantelmann, Michael Lüthy
The symposium is held in English with simultaneous translation into German.
http://www.kunstgespraech.de/kirsten_koetter_site-specific_documenta.pdf (PDF, deutsch / English, 16 Seiten / pages, 7 MB)
http://www.kunstgespraech.de/konzept_de.htm#Site-specific
http://www.kunstgespraech.de/konzept_de.htm#'Site-specific painting (english)'