KUNSTGESPRAECH

TEXTE: REZENSIONEN

documenta (13): Thank you, Carolyn

dOCUMENTA (13), 09.06. – 16.09.2012, Kassel


Was soll die Kunst? Als was kann sie dienen außer als Aktie oder als kreatives Beschäftigungsmodell? Die documenta (13) von Carolyn Christov-Bakargiev gibt überzeugende Antworten.

Nachhaltigkeit statt Rock'n Roll

Ausgestellt ist Kunst von Künstlerinnen und Künstlern mit sehr unterschiedlichen Biografien. Im Extrem liegt das Geburtsdatum im 19. Jahrhundert, wie bei Margaret Preston (1875-1963), die für die Entwicklung der australischen Kunst wichtig war und Aboriginemotive einem breiten Publikum bekannt machte, indem sie diese in ihre modernen Gemälde integrierte. Keiner der älteren d(13)-Künstler ist so bekannt wie Salvador Dali (1904-1989). Dass kunstgeschichtlich interessante Künstlerinnen und Künstler von Kuratoren wiederentdeckt werden, ist nicht ungewöhnlich. Auch Künstler beziehen sich häufig mit ihren aktuellen Arbeiten auf ältere Vorbilder. Die Kunst der 1960er / 70er Jahre erfreut sich dabei besonderer Beliebtheit. Die documenta-Beteiligung von Thomas Bayrle (geb. 1937) oder M.A. Numminen (geb. 1940) – beide entwickelten seit den 60er / 70er Jahren ihr eigenständiges Werk - überrascht daher nicht. Auf der d(13) finden sich außerdem auch die für eine wichtige internationale Kunstausstellung gängigen Mitt-Dreißig- bis Fünfzigjährigen. Die documenta verzeichnet so insgesamt eine ungewöhnlich große Bandbreite an Geburtsdaten und ein buntes Spektrum an Lebensläufen. Der sonst so gängige Typ "junger erfolgreicher Senkrechtstarter" ist hier selten. Es überwiegen alternative Karrieren, die so individuell sind, dass sie sich der Typenbildung entziehen. Die variationsreichen Biografien sind ein kuratorisches Statement gegen ein Hire and Fire des Kunstmarkts, der junge Künstlerinnen und Künstler erst willkürlich hypt und dann fallen lässt. Die d(13) betont den kunsthistorischen Aspekt, formuliert aber keine Absage an den Kunstmarkt, der zum Beispiel Künstler der Klassischen Moderne gewinnbringend vermarktet. Die Affinität zur Kunstgeschichte zeigt sich bereits beim Katalog: Grüner matter Einband, Papier, Schrift und Geruch erinnern an kunstwissenschaftliche Buchreihen, wie sie im Studium verwendet werden.

Kunst und Alltag

Die d(13) vereint Künstlerinnen und Künstler mit einer engagierten Biografie und einer Vision, zu deren Umsetzung - mangels Unterstützung von außen – manchmal eine gewisse Hartnäckigkeit gehört. Es ist eine documenta der Künstler, die von einer Idee beseelt sind, die über das Kunstschaffen hinaus geht und Kunst und Gesellschaft verbindet. Nicht nur Künstler sind ausgestellt, sondern auch Kunsthandwerkerinnen mit einer ungewöhnlichen Herangehensweise. Hannah Ryggen (1894-1970) webte politische Statements des Widerstands gegen den Nationalsozialismus in ihre Wandteppiche. Die Keramikerinnen Juana Marta Rodas (geb. 1926) und ihre Tochter Julia Isidrez (geb. 1967) leben weitab vom internationalen Kunstleben in einem kleinen Dorf in Paraguay und töpfern Gegenstände ohne Funktion, die qua Definition nur Kunst sein können. Der Versuch, mit künstlerischen Mitteln gesellschaftlich wirksam zu werden, muss nicht politisch sein. Sopheap Pich (geb. 1971) ging nach längerem Auslandsaufenthalt und einem Studium der Malerei am School of the Art Institute of Chicago mit dem Master of Fine Arts vor zehn Jahren zurück in sein Heimatland Kambodscha und passte seine Arbeitsweise den dortigen Umständen an. Er verwendet landestypische Materialien für seine konstruktiven Wandobjekte und verbindet so westliche und asiatische Kulturelemente. Die Gemälde von Konrad Zuse, der Computer erfand und entwickelte und dessen Firma in der Region angesiedelt war, hängen neben seinen Computern. Dass Zuse auch malte, ist in der Öffentlichkeit bis dato wenig bekannt gewesen. Die Künstler auf dieser documenta werden nicht als wahnsinnige Genies präsentiert, sondern als Menschen, die in und mit der Gesellschaft leben.

Regionale Kunst statt Ranking

Horst Hoheisel und Gunnar Richter sind Kasseler Künstler, die bereits seit Jahrzehnten kontinuierlich den Umgang mit nationalsozialistischen Verbrechen thematisieren. In einem internationalen Ranking wäre ihr Platz wohl nicht allzu weit oben. Bisher wurden regionale Künstler von den documenten kaum beachtet. Die Beteiligung von Hoheisel und Richter ist nur eine Fußnote in der international ausgerichteten documenta. Aber dieses "und da sind auch noch" setzt ein Zeichen. Egal, ob regional oder international: Jeder Künstler macht seine Arbeit und kann im kleinen oder großen Bereich seine Ziele umsetzen. Das Eine ist nicht mehr oder weniger wert als das Andere.

Feminismus?

Carolyn Christov-Bakargiev hat eine feministische documenta versprochen. Hat sie ihr Versprechen eingehalten? Als große Linie zeigt die documenta (13) eine Kunst, die in und mit der Gesellschaft stattfindet. Diese Kunst kann explizit politisch sein oder indirekt etwas Gesellschaftspolitisches bewirken. Vielleicht findet sie nur auf eine ungewöhnliche Weise im Alltag statt oder folgt einem abseitigen Thema. Erkki Kurenniemi archivierte sein Leben. Ausgestellt sind Kassetten, Videos, Computeranimationen, Fotos aus seinem Archiv. Charlotte Solomon, die 1943 in Auschwitz ermordet wurde, dokumentierte zuvor Jahre ihres Lebens in einem ungewöhnlichen Text- und Bilderzyklus mit einprägsamen reduzierten Motiven. Die documenta zeigt uns das Ganze und keinen fokussierten Tunnelblick. Der Mainstream wird nicht verneint, aber Außenseiter bekommen ebenfalls einen gleichberechtigten Platz. Vielleicht, wahrscheinlich, ist das feministisch. Auf jeden Fall überzeugt die documenta auf breiter Basis durch ihre kraftvolle Klarheit. Die Kunstwerke wurden für ihren jeweiligen Ausstellungsraum nach einer thematischen Gliederung ausgewählt. Dieser inhaltliche rote Faden macht die Ausstellung zu einer Geschichte mit Kapiteln.

Die documenta überzeugt künstlerisch und inhaltlich. Alle Künstler mussten zuerst zur nah gelegenen KZ-Gedenkstätte Breitenau. Jimmi Durham pflanzte auf Christov-Bakargievs Anregung hin gemeinsam mit ihr einen Baum. Christoph-Bakargiev pflanzte einen Korbinian-Apfelbaum, dessen Sorte vom Pfarrer Aigner während seiner NS-Haft in Dachau gezüchtet worden war und Durham einen ähnlichen Baum, an den er sich aus seiner Kindheit erinnerte. Der Künstler Kai Althoff zweifelt im Briefwechsel mit Christov-Bakargiev an seiner Kunst und an ihrer Anerkennung und zieht seine Ausstellungsbeteiligung zurück. Dieser Brief ist im Fridericianum ausgestellt. Auf jeden Fall war also Christov-Bakargiev auch selbst inhaltlich sehr engagiert, vielleicht sogar für manche zu engagiert, aber ein solcher Vorwurf würde sie wahrscheinlich nicht stören, befürwortet sie doch das Beibehalten einer inneren Haltung gegen äußere Widerstände. Für Christov-Bakargiev ist außerdem das Zweifeln ein wichtiger Bestandteil jeder Weiterentwicklung, wie sie in einem Essay zur documenta schreibt. Gerade nach Fehlern und Sackgassen ist eine spannende Weiterentwicklung möglich. Dies alles vermittelt sie mit der Zusammenstellung der ausgestellten Werke und künstlerischen Biografien.

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