KUNSTGESPRAECH

TEXTE: REZENSIONEN

Zeitgeist

The Art of Narration changes with Time, 08.06. – 10.09.2011, Galerie Sprüth Magers, Berlin

kuratiert von Gigiotto Del Vecchio, mit Peter Coffin, Moyra Davey, Thea Djordjadze, Alex Hubbard, Rosalind Nashashibi, Joao Maria Gusmao, Pedro Paiva, Margaret Salmon, Oscar Tuazon, Klaus Weber

Joao Maria Gusmao / Pedro Paiva: Pot smaller than pot, 2010, 16mm, 2:25 min (Foto: kk)Leinwände, Fotografien, Skulpturen, Installation, Videos – alles da, sachlich, aufgeräumt, zurückhaltend. Nichts Besonderes? Thema ist die Wechselwirkung von Zeit und Erzählung, die Gigiotto Del Vecchio in seinem assoziativen, fast poetischen, in der Aussage ungreifbar bleibenden Text beschreibt. Del Vecchio deutet mehrere Lesarten des Titels an. Es gilt, den Moment zu packen, wo Zeit und Erzählung unerwartet und überraschend verändert werden können. Das sagt genau genommen nichts aus. Man könnte es auch mit "Zeitgeist" umschreiben. Das allgemeine Thema erlaubt aber die Kombination arrivierter Künstler mit unterschiedlichen Positionen, bei denen es sich lohnt, tiefer zu schürfen. So gelingt der Schau die Balance zwischen übergreifendem Thema, aktueller Position und individuellen Exkursen. Die künstlerischen Positionen bekommen in dieser Gruppenausstellung ihren Raum.

Bei einigen der künstlerischen Positionen liegt der Schwerpunkt auf der ungewohnten Produktion. Weiße Leinwände mit gelblichen Flecken wie Pollocks Dribbings titeln sich "Bee Paintings" und werden nicht vom Künstler Klaus Weber, sondern von Bienen produziert, die von der weißen Fläche der Leinwand angezogen werden. Die Bienen, die an die Stelle des Künstlers treten, sind der Moment, der die Geschichtsschreibung verändert. Webers Kunstproduktion ist außerdem ein Beispiel für die ironische Haltung, die Künstler nach Del Vecchio heutzutage gegenüber ihrer eigenen Arbeit einnehmen sollten. Ähnliche Verschiebungen zeigen die Skulpturen und Installationen von Thea Djordjadze, indem sie klassische Formen und Materialien "dekonstruktiv aufgreifen", will sagen: die bekannten Formen durch die Art des Nachahmens (Material, zerstörte Form, Position im Ausstellungsraum) verändern.

Bei anderen Künstlern steht die besondere Art der Inszenierung, die eng mit dem Inhalt der Erzählung verknüpft ist, im Vordergrund. Auf die Filme von João Maria Gusmão und Pedro Paiva lässt sich das Ausstellungsthema, die Wechselwirkung von Zeit und Erzählung, am unmittelbarsten beziehen, was natürlich in der Natur des Mediums Film selbst liegt. Die minimalistische Bilder und Handlungen der Filme stehen im Gegensatz zur Dramatik des Vorführens: In einem abgedunkelten, zur Straße und deren Lärm hin offenen Raum, laufen die tonlosen Super-8-Filme unter großem Getöse des Vorführgerätes ab. Auch die Filmbilder selbst sind dunkel. Licht und Dunkelheit pulsieren außerdem in ihnen in schnellem Wechsel. Zu sehen sind kleine Handlungen: Ein Stock wird über einen orientalischen Teppich gezogen und scheint Spuren zu hinterlassen. Gefäß für Gefäß werden in einem anderen Film angehoben, nur um darunter ein weiteres kleineres Gefäß zu offenbaren, bis Kugeln zurück bleiben, die wegrollen. Die Stills dieser Filme erinnern an Gemälde von Rembrandt. Angeleuchtete Gegenstände heben sich aus der sie umgebenden Dunkelheit ab. Die sparsamen Bilder und Handlungen verändern das Zeitgefühl. Die Filme sind mystisch, seltsam, geheimnisvoll wegen der Effekte von Beleuchtung und Präsentation. Viel Wind um Nichts? Ob eine tiefe Botschaft inne liegt, oder ob nur alles aufgetischt wird, was eine tiefe Botschaft impliziert, bleibt offen.

Rosalind Nashashibi: Sunspot 2, 2010, Detail (Foto: kk)Zu tiefschürfenden Inhalten gelangt Rosalind Nashashibi. Ihre Arbeit "Sunspot" 2010 wirkt seltsam beunruhigend, zeigt sie doch nur schwarze Tintenspuren über der Fotografie eines Autos, das mit einer Plane abgedeckt wurde. Doch vergrößert der Betrachter die Tintenspuren unwillkürlich im Geiste auf die bedrohliche Größe des abgebildeten Autos, zumal sie schwer der realen Welt zugeordnet werden können. Eine erste Assoziation könnte ein "Anschlag" sein, dem das Auto zum Opfer gefallen ist, zumal die Szenerie an eine orientalische Stadt erinnert; tatsächlich wurden die Fotos in Kairo gemacht. Ihre zweite hier ausgestellte Arbeit – "The world cracked open" 2010 – versammelt die Fotografie eines Kupferstich David Hockneys ("Rapunzel Rapunzel, Let Down Your Hair", 1969) mit der Haube für ein Pferd. Beide Arbeiten wurden bereits gemeinsam in einer Ausstellung gezeigt, in der die Künstlerin das Unsichtbare, bzw. den versteckten Körper (hier: abgedecktes Auto, Haube für ein Pferd) darstellte.

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