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Lore Kramer. Ich konnte ohne Keramik nicht leben, Museum Angewandte Kunst Frankfurt, 30.05. - 26.08.2018
Moderne, 30.05.2018, Frakfurt
'Lore Kramer. Ich konnte ohne Keramik nicht leben.', heißt die neue Ausstellung des Museums Angewandte Kunst Frankfurt. Von den 1950er bis 1980er Jahren entwarf und fertigte Lore Kramer Keramikschalen und -kannen, die nun in dieser Ausstellung in ihrer schlichten Schönheit präsentiert werden: Blau-, Grün-, Rosa- und Brauntöne, farbig, aber nicht aufdringlich und schlichte elegante Formen ohne überflüssige Henkel, Tüllen oder ähnliches Beiwerk.
Die Ausstellung arbeitet eine interessante Liaison zwischen asiatischer reduzierter organischer Keramiktradition und moderner serieller industrieller Gestaltungsauffassung in der Keramik von Lore Kramer heraus. Denn Lore Kramer schuf diese mit ihrer Ästhetik bestechenden Keramiken, sie schuf aber auch aus dem gleichen Geist ohne Bruch in der Gestaltung stapelbare Keramiken. Die ausgestellte Keramik Lore Kramers befindet sich in einem Raum im Raum des Museums – an einer Rückwand des inneren Raumes mit der Keramik von Lore Kramer sind assoziativ weitere Keramiken aus den Beständen des Museums ausgestellt, die einen Bezug zur Gestaltung Lore Kramers aufnehmen, z.B. chinesische Steinzeugschalen um 1000. So lernt man in dieser Ausstellung einen Aspekt der Gestaltung der Moderne besser verstehen: Eine Schnittmenge zwischen industriell motivierter Reduktion der Gestaltung und eine Reduktion der Gestaltung, motiviert durch asiatische Philosophie, ist denkbar.
Die Keramiken Lore Kramers sind eine Entdeckung und werden das erste Mal ausgestellt. Matthias Wagner K, der Direktor des Museums und Kurator der Ausstellung, sah die Keramiken von Lore Kramer das erste Mal im Keller des Wohnhauses Kramer: 'Der Keller war gar nicht mal besonders groß.'
Das Kramer-Wohnhaus ist ein demokratisches Credo der 60er-Jahre-Moderne. So oder ähnlich sehen viele Häuser und Wohnungen aus der Zeit aus, in denen ganz normale Menschen wohnten und wohnen. Weder ist es besonders groß, noch prächtig oder auffallend, einfach zweckmäßig und angemessen. Ferdinand und Lore Kramer lebten die Ideale der modernen Gestaltung, die sie anderen darboten, auch selbst.
Der Ehemann von Lore Kramer, Ferdinand Kramer, ist berühmt wegen seiner in den 1920er Jahren unter Ernst May neu ganz schlicht und zweckmäßig gestalteten Alltagsgegenstände wie Stühle, Türklinken und seiner Arbeit als Architekt der Frankfurter Universität um 1960. Er ist ein Urgestein der modernen Gestaltung, wenn auch international nicht so bekannt ist wie z.B. Walter Gropius. Für Ferdinand Kramer war das Entwerfen – und das immer auf hoher Gestaltungshöhe - wie für Andere das Zeichnen oder Schreiben: So entwarf er nach der Hochzeit mit seiner zweiten Frau Lore nebenher zwei Handtaschen für diese, obwohl dies scheinbar unnötig war, denn diese sagte mit der für sie typischen direkten Art, 'dass sie nie mit einer Handtasche ausginge' (FAZ, s. Link unten).
Wenn auch damals nicht selten, aber durchaus nicht Standard: Der Blick auf Lore Kramers Leben zeigt eine berufstätigte junge Frau in der Nachkriegszeit und später eine berufstätige verheiratete Frau und Mutter. Weil ihr Vater nicht mehr für das Kunststudium zahlen möchte, begann die 22-Jährige ab 1949 in Keramik-Handwerksbetrieben zu arbeiten, obwohl die Bildhauerei ihr eigentlicher Wunsch war. Ein guter Lehrmeister für sie hier: der Keramiker Otto Lindig. Bei ihrem Studium ab 1952 an der Kölner Werkschule wurde der Künstler Gerhardt Marcks für sie wichtig, der ihre Bildhauereien begleitete, weil er ihre Zeichnungen schätzte.
1956 wurde sie Leiterin der Keramikklasse der Werkkunstschule Offenbach. Hier arbeitete sie - jetzt gemeinsam mit ihren Studentinnen und Studenten - weiter an der Findung der richtigen schlichten angemessenen Form und den besten Glasuren für farbige Keramiken. Hier entstanden lange Versuchsreihen: immer die serielle industrielle Fertigung vor Augen und orientiert an internationalen Vorbildern für die richtige Form. 1970 entwarf sie für die Firma Waechtersbach Keramiken: natürlich stapelbar.
1961 heiratete die 36-jährige Lore Koehn den älteren berühmten Ferdinand Kramer, der damals 62 Jahre alt war und wie sie an der Werkkunstschule unterrichtete. Die beiden bekamen drei Töchter. 1985 starb Ferdinand Kramer, so dass Lore Kramer die meiste Zeit ihres Lebens als Berufstätige ohne Ehemann lebte.
Lore Kramer selbst hatte daran mitgearbeitet, dass aus der Werkkunstschule Offenbach 1974 die Hochschule für Gestaltung Offenbach wurde; die Werkkunstschule hatte sich genau wie andere Schulen beworben und war ausgewählt worden. Danach wurde ihre Keramikklasse geschlossen, was sie zunächst sehr traf. Lore Kramer hatte aber bereits ab den 1970er Jahren Designgeschichte an verschiedenen Designschulen, vor allem in Offenbach, gelehrt. Nun fand Lore Kramer in der Designgeschichte ihre Erfüllung. Eine Präsentation ihrer Dias aus dem Unterricht ist ebenfalls Teil der Ausstellung.
Lore Kramer ist eine beeindruckende Persönlichkeit. Ihr Leben ist eng mit der Geschichte des modernen Designs verwoben. Vielleicht zeigt es einen flexiblen beruflichen Weg im Feld der Gestaltung jenseits der ganz großen Namen, der heute gar nicht mehr so selten ist: Lore Kramer hat sich an die jeweiligen äußeren Gegebenheiten angepasst und ist dabei aber ihrem Lebenssinn und Ideal einer richtigen Gestaltung immer treu geblieben.
Lore Kramer. Ich konnte ohne Keramik nicht leben, 31.05. - 26.08.2018
Museum Angewandte Kunst Frankfurt: Lore Kramer. Ich konnte ohne Keramik nicht leben
Keramik von Lore Kramer in der Ausstellung des museumangewandtekunst Frankfurt am Main, Foto von Kirsten Kötter
Keramik von Lore Kramer in der Ausstellung des museumangewandtekunst Frankfurt am Main, Foto von Kirsten Kötter
Keramik von Lore Kramer in der Ausstellung des museumangewandtekunst Frankfurt am Main, Foto von Kirsten Kötter
Dieselbe Grundform für eine Schale und eine Kanne, Keramik von Lore Kramer in der Ausstellung des museumangewandtekunst Frankfurt am Main, Foto von Kirsten Kötter
Schale, Nordliche Song, 960-1127, Steinzeug, glasiert, Schale, Song, 12. Jh. Steinzeug mit Hasenfellglasur, Schale, Korea, 15. / 16. Jh., Steinzeug mit Schlicker und Modeldekor, alle: Museum angewandte Kunst Frankfurt am Main
Tiefe Schale, Iran, 12. Jh., Heller Scherben mit transparenter türkisfarbener Glasur, Museum Angewandte Kunst